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Temporärer Zufluchtsort für Shoa-Überlebende aus Osteuropa
Menachem Goldraich kam am 31. August 1946 im Kreiskrankenhaus Landau/Isar zur Welt. Seine Eltern, Viktoria und Leon, waren jüdische Polen, die aus ihrer Heimat geflüchtet waren und in der niederbayerischen Stadt ein vorübergehendes Zuhause fanden. Doch bleiben wollte keiner; alle Juden warteten sehnsüchtig auf eine Emigration nach Übersee oder Palästina. Offensichtlich war sich das junge Paar nicht einig, wohin die Reise gehen sollte. Leon gelang es, die nötigen Papiere für eine Übersiedlung in die USA zu erlangen; er verließ Deutschland via Bremen im Dezember 1949 mit der USS General McRae in Richtung New York. Viktoria und Menachem immigrierten nach der Gründung Israels im Mai 1948 in den jüdischen Staat. Im Oktober 1951 reisten Mutter und Kind jedoch erneut nach Deutschland ein und wurden im letzten jüdischen Flüchtlingslager Föhrenwald bei Wolfratshausen untergebracht. Nach zwei Jahren quälenden Wartens erhielten Viktoria und Menachem im Januar 1953 die Erlaubnis, im Rahmen der Familienzusammenführung in die USA einzureisen. Auf Initiative von Leon war die kleine Familie nun nach langer Trennung endlich wieder vereint.
Solche oder ein ähnliches Schicksal ereilte viele Juden nach 1945. Sie hatten in den NS-Lagern, im Untergrund, bei den Partisanen oder in der Sowjetunion überlebt. Für sie gab es in Europa keine Zukunft mehr. Die Mehrheit von ihnen stammte aus Polen; sie hatten sich nach dem deutschen Überfall in die Sowjetunion retten können und wollten nach Kriegsende wieder in ihre Städte und Dörfer zurückkehren. Doch den Heimkehrern schlugen Ablehnung und Hass entgegen, die sich zu offenen Pogromen auswuchsen. Diese Gewaltexzesse ereigneten sich nicht nur in Polen, sondern auch in anderen osteuropäischen Ländern, wie etwa in der Ukraine, in Ungarn oder der Slowakei.
Waren schon vor diesen Gewalttätigkeiten viele Shoa-Überlebende nach Westen geflohen, so kam es nun zu einer panischen Fluchtwelle in die Sicherheit der US-amerikanischen Besatzungszone in Deutschland. In der Nachkriegszeit hielten sich bis zu 200.000 osteuropäische Juden im besetzten Deutschland auf, die in zahlreichen Massenlagern, wie etwa in Deggendorf, Föhrenwald, Landsberg oder Pocking einquartiert wurden. Aber auch in vielen Städten und Dörfern gründeten sich temporäre Gemeinden, wie etwa in Landau an der Isar, hier waren die Menschen in Privatunterkünften untergebracht.
In diese kleine niederbayerische Stadt, in der seit Jahrhunderten keine jüdische Gemeinde mehr existierte, verschlug es auch die Brüder Oscar und Leon Merzel. Eine vorübergehende jüdische Nachkriegsgemeinde ist ab August 1946 in Landau nachweisbar. Oscar und Leon amtierten zeitweise als Vorsitzende dieser Gemeinschaft, die anfänglich aus 24 Personen bestand und bis zum Dezember 1946 auf über 70 Mitglieder anwuchs. Auf Anordnung der amerikanischen Militärregierung musste der Eigentümer des Gasthauses „Weißes Rössl“ einige Zimmer und die Gaststube für die Juden freimachen. Dort richtete die jüdische Gemeinde ihr Büro und eine Betstube ein.
Während die Juden auf Möglichkeiten zur Auswanderung warteten, wurden mindestens vier jüdische Kinder in Landau geboren. Auch Leon Merzel hatte zwischenzeitlich eine Familie gegründet und mit seiner in Warschau gebürtigen Frau Pola, die zunächst in der Jüdischen Gemeinde in Altötting lebte, einen Sohn bekommen. David wurde im Februar 1947 in Landau geboren – seine Geburt vom örtlichen Standesamt dokumentiert. Die Familie wollte zunächst nach Israel auswandern und hatte 1949 schon alle Formalitäten erledigt; doch letztlich entschied man sich um, denn in Israel herrschte Krieg, die arabischen Nachbarn wollten den jüdischen Staat auslöschen. Mit Hilfe der US-Hilfsorganisation JOINT gelang es Leon, Pola, David und dem Bruder Oscar Merzel 1950 Papiere für die Auswanderung nach Australien zu bekommen.
Bereits im Herbst 1947 hatte die jüdische Gemeinschaft in Landau ihre Unabhängigkeit verloren und wurde mit der größeren Gemeinde in Plattling zusammengeschlossen. Doch aufgrund der massiven Abwanderung löste sich auch Plattling im Jahr 1951 endgültig auf.
Da die Quellenüberlieferung lückenhaft ist, liegen keine Informationen vor, wie lange und wie viele Juden letztlich in Landau lebten und wie das Alltagsleben aussah. Lediglich ein Kulturereignis ist dokumentiert: Die „Mobil Film-Unit“ des JOINT zeigte im November 1947 den jiddischen Spielfilm „Eli-Eli“, der die Auswanderung in die USA thematisiert und daher auf großes Interesse stieß. „Wir bitten daher recht herzlich so oft es Ihnen möglich ist, weitere die jüdische Kreise interessierende Filme vorführen zu lassen“, schrieb der Gemeindevorstand auf Deutsch in einem Dankesbrief. Eine Emigration in die USA stand bei nicht wenigen Shoa-Überlebenden ganz oben auf der Wunschliste – auch einigen Juden aus Landau gelang die Übersiedlung ins „Land der unbegrenzten Möglichkeiten“.
Die temporäre jüdische Gemeinde mit bis zu 75 Mitgliedern, die überall in der Stadt einquartiert waren, hat sich im kollektiven Bewusstsein der örtlichen Bevölkerung kaum niedergeschlagen. Es besteht demnach noch erheblicher Forschungsbedarf! – (jgt)
Temporary refuge for Shoah survivors from Eastern Europe
Menachem Goldraich was born on August 31, 1946 in the Landau/Isar district hospital. His parents, Viktoria and Leon, were Jewish Poles who had fled their homeland and found a temporary home in the town in Lower Bavaria. But none of them wanted to stay there; all the Jews were eagerly awaiting emigration overseas or to Palestine. It seems that the young couple could not agree upon where to go. Leon managed to obtain the necessary papers to emigrate to the USA; he left Germany via Bremen in December 1949 on the USS General McRae bound for New York. Viktoria and Menachem immigrated to the Jewish state after Israel was founded in May 1948. In October 1951, however, mother and child returned to Germany and were accommodated in the last Jewish refugee camp, Föhrenwald near Wolfratshausen. After two years of agonising waiting, Viktoria and Menachem were granted permission to enter the USA in January 1953 as part of the family reunification process. On Leon’s initiative, the small family was finally reunited after a long separation.
Many Jews experienced this or a similar fate after 1945, having survived in the Nazi camps, underground, with the partisans or in the Soviet Union. There was no longer a future for them in Europe. The majority of them came from Poland; they had managed to escape to the Soviet Union after the German invasion and wanted to return to their towns and villages after the end of the war. However, the returnees were met with rejection and hatred, which grew into open pogroms. These violent excesses occurred not only in Poland, but also in other Eastern European countries such as Ukraine, Hungary and Slovakia.
While many Shoah survivors had already fled to the West before these acts of violence occurred, there was now a panic-stricken wave of flight to the safety of the US occupation zone in Germany. In the post-war period, there were up to 200,000 Eastern European Jews in occupied Germany, who were quartered in numerous mass camps, such as in Deggendorf, Föhrenwald, Landsberg and Pocking. Temporary communities were also established in many towns and villages, such as Landau an der Isar, where people were housed in private accommodation.
The brothers Oscar and Leon Merzel ended up in this small town in Lower Bavaria, where no Jews had lived for centuries. There is evidence of a temporary post-war Jewish community in Landau from August 1946. Oscar and Leon acted temporarily as chairmen of this community, which initially consisted of 24 people and had grown to over 70 members by December 1946. By order of the American military government, the owner of the „Weisses Rössl“ inn had to make several rooms and the restaurant available to the Jews. The Jewish community set up their office and a prayer room there.
While the Jews waited for opportunities to emigrate, at least four Jewish children were born in Landau. In the meantime Leon Merzel had also started a family and had a son with his Warsaw-born wife Pola, who had initially lived in the Jewish community in Altötting. David was born in Landau in February 1947 – his birth was documented by the local registry office. The family initially wanted to emigrate to Israel and had already completed all the formalities in 1949; however, they ultimately changed their minds, as there was a war in Israel and the Arab neighbours wanted to wipe out the Jewish state. With the help of the US aid organisation JOINT, Leon, Pola, David and their brother Oscar Merzel managed to obtain papers to emigrate to Australia in 1950.
By the autumn of 1947, the Jewish community in Landau had already lost its independence and was merged with the larger one in Plattling. However, because of a huge amount of emigration, the Plattling community was also finally dissolved in 1951.
As sources are incomplete, there is no information on how long and how many Jews ultimately lived in Landau and what everyday life was like. Only one cultural event is documented: In November 1947, JOINT’s „Mobil Film Unit“ showed the Yiddish feature film „Eli-Eli“, which deals with emigration to the USA and therefore met with great interest. „We therefore kindly ask you to show other films of interest to Jewish circles as often as possible,“ wrote the community board in German in a letter of thanks. Emigration to the USA was at the top of the wish list for quite a few Shoah survivors – some Jews from Landau also managed to emigrate to the „land of unlimited opportunities“.
There are hardly any traces in the local population’s collective memory of the temporary Jewish community with its up to 75 members quartered all over the city. There is therefore still a considerable need for research! – (Translation: CB)
Quellen | References
Archive | Archives
- American Jewish Joint Distribution Committee Archives, New York
Jewish Displaced Persons and Refugee Cards - Arolsen Archives, Bad Arolsen
Registrierungen und Akten von Displaced Persons - YIYO Institute for Jewish Research, New York
Displaced Persons Camps and Centers in Germany
Leo W. Schwarz Papers
Lexikoneintrag | Lexicon entry
Landau/Isar – Jüdische DP-Gemeinde | Jewish DP Community
Letzte Aktualisierung: 01.07.2024