Die jüdische Nachkriegsgemeinde in Goslar

Briefkopf Jewish Committee Goslar

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Vereinzelt sollen sich Juden schon um 1250 in Goslar angesiedelt haben, eine Gemeinde mit Synagoge ist um die Mitte des 14. Jahrhunderts nachweisbar. Bis etwa zur Hälfte des 16. Jahrhunderts verlieren sich die Spuren, danach finden sich einige belastbare Quellen über das jüdische Leben in der Stadt, wie etwa der Bau einer neuen Synagoge zum Anfang des 17. Jahrhunderts. Das Gotteshaus brannte 1780 ab und wurde in der Bäckerstraße 31 wieder erbaut. Nach dem 1. Weltkrieg lebten etwa 50 Juden in Goslar, darunter einige angesehene Kaufmannsfamilien. Nach 1933 verringerte sich die Bewohnerschaft auf rund 20 Personen. Die meisten von ihnen wurden Opfer des nationalsozialistischen Rassenwahns. Lediglich Charly Jacob und seine zwei Söhne, Louis Meyer und Dagobert Lewy, die das Ghetto Theresienstadt überlebt hatten, kehrten nach Goslar zurück.

In den ersten Nachkriegsmonaten lebten nach einem Bericht der Jewish Relief Unit nur drei deutsch-jüdische Familien in Goslar. Das änderte sich im Spätsommer 1945 mit dem Zuzug von zumeist osteuropäischen Juden, so dass die jüdische Gemeinschaft bereits im September 157 Personen zählte. Die Stadt wurde verpflichtet die in der Pogromnacht geschändete Synagoge zu renovieren und das Gotteshaus zu übergeben. Gleichzeitig erhielten die Juden Wohnungen in der Stadt zugewiesen sowie das Anwesen der Gaststätte „Goldene Krone“ zur Nutzung als Sammelunterkunft und Gemeindezentrum.

Im Januar 1946 fand die erste Generalversammlung aller in Goslar gestrandeten Juden statt, die nun offiziell das „Jewish Committee“ gründete. Zum ersten Vorsitzenden des siebenköpfigen Vorstands wurde Moritz Saionz gewählt. Zudem bestimmte die Versammlung den in Berlin geborenen Willi Scherl zum Leiter der Sammelunterkunft „Jewish Camp“ in der „Goldenen Krone“. Mit Unterstützung der britischen Militärverwaltung und der vor Ort tätigen Quäkerorganisation „American Friends Service Committee“ war der Aufbau einer Trainingsfarm geplant, auf der den Überlebenden Basiskenntnisse in Ackerbau und Viehzucht vermittelt werden sollten. Dieses Vorhaben fiel jedoch bei den Juden auf breites Desinteresse, so dass die Idee verworfen wurde. Dagegen gelang es Ausbildungslehrgänge zum Schneider, Automechaniker, Zahntechniker oder Elektriker zu organisieren, die zum Teil bei örtlichen, deutschen Unternehmen durchgeführt wurden. Ergänzend wurden Sprachkurse in Englisch und Hebräisch angeboten.

Auch ein vielseitiges soziales Leben stellte das jüdische Komitee auf die Beine. Im Frühjahr 1946 feierten die Goslarer Juden im Hotel „Goldene Krone“ den ersten Jahrestag ihrer Befreiung von der nationalsozialistischen Herrschaft sowie das Pessachfest in der Synagoge. Der Besuch eines Vertreters der Jewish Brigade, einer jüdischen Einheit in der britischen Armee, löste organisierte Aktionen für die zionistische Idee nicht nur unter der Jugend aus. Zudem gründete sich ein Jüdischer Sportklub, mit einer Tischtennis- und Fußballabteilung. Die Kicker des JSK Goslar spielten ab Herbst 1946 mit einigen Lagermannschaften aus dem DP-Camp Bergen-Belsen, Makabi Hannover, Stern Hamburg und Makabi Neustadt um die Meisterschaft der jüdischen Fußball-Liga in der britischen Besatzungszone.

Das „Jewish Committee“ bestand nachweislich bis ins Jahr 1947; im Februar waren turnusmäßig dafür Wahlen anberaumt, bei denen Moritz Saionz erneut zum Vorsitzenden gewählt wurde. Im Sommer 1947 gehörten der Gemeinschaft 240 Personen an, davon waren 160 polnischer, 56 deutscher, neun rumänischer, vier lettischer, zwei griechischer, einer ungarischer Herkunft sowie acht Staatenlose. Trotz der internationalen Zusammensetzung und des großen Übergewichts der Osteuropäer änderte das „Committee“ seinen Namen und firmierte fortan als „Jüdische Gemeinde Stadt- und Landkreis Goslar“. Offensichtlich hatten sich die deutschen Juden durchgesetzt, die auf einen Neuanfang im Land der Täter hofften.

Ein Jahr später, im Juli 1948, weist eine Liste der jüdischen Gemeinde nur noch 169 Mitglieder aus. Nicht wenige Namen sind bereits durchgestrichen und mit handschriftlichen Auswanderungshinweisen versehen, wie etwa nach Israel, Kanada, USA oder Australien. Dieser Emigrationsprozess hielt an, wie ein Bericht eines Mitarbeiters der Jewish Relief Unit vom November 1949 dokumentiert: „Mit der Ausnahme von etwa fünf deutschen Juden wollen alle anderen in naher Zukunft auswandern. Vielen von diesen warten noch auf ihre Haftentschädigung, die ihnen zugesagt wurde, und die sie dringend benötigen, dann werden auch sie Goslar verlassen.“ Zu dieser Zeit hatte der gebürtige Lette Mejer Stein den Vorsitz der geschrumpften Gemeinde inne. In einer von der „Allgemeinen Zeitung der Juden in Deutschland“ zusammengestellten Übersicht „aller jüdischen Gemeinden in Deutschland 1949“ ist Goslar nicht aufgeführt. Dennoch lebten noch einige jüdische Männer und Frauen in der Stadt. Nach einer Liste der jüdisch-amerikanischen Hilfsorganisation AJDC erhielten im Dezember 1950 in Goslar und Umgebung 22 Juden ergänzende Essensrationen. (jgt)

The Jewish post-war community in Goslar

Jews are said to have settled in Goslar sporadically from as early as about 1250, and a community with a synagogue is evident around the middle of the 14th century. Traces are lost until around the middle of the 16th century, but after that time there are some reliable sources about Jewish life in the town, such as the building of a new synagogue at the beginning of the 17th century. This place of worship burned down in 1780 and was rebuilt at 31 Bäckerstraße. After the First World War about 50 Jews lived in Goslar, including several respected merchant families. The number of residents decreased to about 20 after 1933. Most of them became victims of the National Socialists’ racial fanaticism. Only Charly Jacob and his two sons, Louis Meyer and Dagobert Lewy, who had survived the Theresienstadt ghetto, returned to Goslar.

In the first post-war months, according to a report by the Jewish Relief Unit, only three German Jewish families lived in Goslar. This changed in the late summer of 1945 with the influx of predominantly Eastern European Jews, so that by September the Jewish community numbered 157. The city was under obligation to renovate the synagogue, which had been desecrated in the pogrom night, and then to hand it over. At the same time, the Jews were allocated apartments in the city as well as the „Goldene Krone” hotel property for use as collective housing and community centre.

In January 1946, the first general assembly of all Jews stranded in Goslar took place, which now officially founded the „Jewish Committee“. Moritz Saionz was elected as the first chairman of the seven-member board. In addition, the assembly appointed Berlin-born Willi Scherl as head of the collective accommodation „Jewish Camp“ in the “Goldene Krone“. With the support of the British military administration and the locally active Quaker organisation „American Friends Service Committee“, the establishment of a training farm was planned; there the survivors were to be taught basic skills in agriculture and animal husbandry. However, this project met with a general lack of interest among the Jews and so the idea was abandoned. On the other hand, training courses for tailors, car mechanics, dental technicians and electricians were successfully organised, some of which run by local German companies. In addition to this, language courses in English and Hebrew were offered.

The Jewish committee also organised a varied social life. In the spring of 1946, the Jews of Goslar celebrated the first anniversary of their liberation from Nazi rule in the „Goldene Krone“ hotel, as well as Passover in the synagogue. The visit of a representative of the Jewish Brigade, a Jewish unit in the British Army, triggered organised actions for the Zionist idea, not only among the youth. In addition, a Jewish Sports Club was founded, with a table tennis and football group. From the autumn of 1946, the footballers of the JSK Goslar played with several camp teams from the DP camp Bergen-Belsen, Makabi Hannover, Stern Hamburg and Makabi Neustadt in the Jewish football league championship in the British occupation zone.

The „Jewish Committee“ verifiably existed until 1947; elections were scheduled for it in February, and Moritz Saionz was again elected chairman. In the summer of 1947, 240 people belonged to the community, 160 of whom were Polish, 56 German, nine Romanian, four Latvian, two Greek and one Hungarian, as well as eight stateless persons. Despite its international composition and large majority of Eastern Europeans, the „Committee“ changed its name and subsequently operated as the „Jewish Community of the City and District of Goslar.“ Clearly the German Jews who hoped for a new beginning in the land of the perpetrators had asserted themselves.

A year later, in July 1948, a list of the Jewish community shows only 169 members. Quite a number of names had already been crossed out and marked with handwritten emigration notes, for example to Israel, Canada, the USA or Australia. This emigration process continued, as documented in a November 1949 report by an employee of the Jewish Relief Unit: „With the exception of about five German Jews, all the others intend to emigrate in the near future. Many of these are still waiting for their imprisonment compensation which they have been promised and urgently need, and then they, too, will leave Goslar.“ At that time, Meier Stein, a native of Latvia, presided over the diminished community. In an overview of „all Jewish communities in Germany in 1949“ compiled by the „Allgemeine Zeitung der Juden in Deutschland,“ Goslar is not listed. Nevertheless some Jewish men and women still lived in the town. According to a list compiled by the Jewish-American relief organisation AJDC, 22 Jews in Goslar and the surrounding area received supplementary food rations in December 1950. (Translation: CB)

Quellen | References

Archive | Archives

    • Wiener Library, London
    • American Jewish Joint Distribution Committee Archives, New York
      AR 45/54 Germany

Literatur | Literature

    • Allgemeine Wochenzeitung der Juden in Deutschland
    • Donald Cramer, Das Schicksal der Goslarer Juden 1933–1945. Eine Dokumentation, Goslar 1986
    • Herbert Obenaus, Historisches Handbuch der jüdischen Gemeinden in Niedersachsen und Bremen, Bd. 1, Göttingen 2005

Lexikoneintrag | Lexicon entry

Goslar – Jüdische DP-Gemeinde | Jewish DP Community

Letzte Aktualisierung: 29.12.2021