Biberach – Schwäbisches Sanatorium Jordanbad verwandelte sich in Kibbuz

Blick in den Innenhof des Jordanbades (Quelle/Source: Repro nurinst-archiv)
For English version please scroll down

Jüdische Kinder und Jugendliche im DP-Lager Jordanbad

Inmitten einer Parklandschaft mit altem Baumbestand, am Rande der schwäbischen Stadt Biberach, liegt das Jordanbad mit seinen Heilquellen. Ein Ort, der auf eine lange Geschichte zurückblickt. Bereits 1470 berichten die Chroniken von einem Spitalbad unterhalb des Wasacher Berges. Im Jahre 1889 übernahmen die Franziskanerinnen des Klosters Reute das Jordanbad und eröffneten ein Sanatorium. Seit dieser Zeit finden die Menschen hier Entspannung und Zerstreuung bei wohltuenden wie auch gesundheitsfördernden Kneippschen Wasserheilkuren.

Dass die imposante Villa und das stattliche Badehaus (dieses Gebäude wurde in den 1960er Jahren abgerissen) in der Nachkriegszeit von Überlebenden des Holocaust bewohnt wurden, ist allerdings nur wenigen Zeitgenossen bekannt. Ende April 1945 beschlagnahmte die französische Militärregierung das Anwesen und richtete im Jordanbad ein Camp für jüdische DPs, Displaced Persons (dt.: verschleppte, entwurzelte Personen) ein. Überall in den westlichen Besatzungszonen installierten die Alliierten solche Auffanglager, in denen zeitweise über 184.000 Juden auf ihre Auswanderung warteten. Erinnert sei an die bekannten großen Camps im Raum München wie Feldafing, Landsberg oder auch Föhrenwald, in denen jeweils bis zu 5.000 jüdische Bewohner lebten.

Obwohl sich in der französischen Besatzungszone nur rund 2.000 Juden aufhielten, sind auch hier, etwa in Biberach-Jordanbad, Gailingen, Lindau oder Kißlegg, jüdische DP-Camps nachweisbar. Kurz nach Kriegsende wurden zunächst etwa „400 heimatlose Juden“ kurzfristig im Jordanbad untergebracht. Ab Dezember verwandelte sich das Sanatorium in einen gut organisierten Trainingskibbuz. Die neuen Bewohner, 230 Jungen und Mädchen im Alter zwischen 8 und 18 Jahren sowie deren Erzieher, betrachteten ihre Unterkunft allerdings lediglich als „Wartesaal“. Sehnsüchtig hofften sie auf eine baldige Ausreise nach Palästina. Doch der Staat Israel war noch nicht Realität.

Heute deutet nichts mehr auf den ehemaligen Kibbuz hin. Dank einiger Berichte und Statistiken, die im US-amerikanischen YIVO Institute for Jewish Research in New York aufbewahrt werden, sowie Unterlagen aus dem Archiv des Klosters Reute, ist es möglich, einen Blick in die Vergangenheit zu werfen.

Die jüdische Gemeinschaft im Jordanbad lebte gemäß ihrer am Kollektiv ausgerichteten Ideale und bereitete sich intensiv auf die Zukunft im noch zu gründenden Staat vor. Im Camp gab es eine eigene Schule, in der die Jungen und Mädchen in hebräischer Sprache, Palästinakunde und Geschichte unterrichtet wurden. Zudem existierte ein „Seminar“ der links-zionistischen Jugendbewegung Haschomer Hazair (Die jungen Wächter). Regelmäßig wurden politische Lehrgänge angeboten. Juden aus fast allen deutschen DP-Camps trafen sich im Jordanbad und diskutierten, wie sie den Aufbau von Erez Israel vorantreiben könnten. Ein wichtiger Punkt bei diesen Konferenzen war die Organisation der illegalen Einwanderung nach Palästina, wie ein interner Report des „Comité Israélite Central“, die jüdische Interessenvertretung gegenüber der französischen Militärregierung, dokumentiert: „Der Kibbuz Haschomer Hazair führt eine gute jugendliche Erziehungsarbeit durch“. Weiter ist dort zu lesen: „Die Vorbereitung für die Alija hat gute Erfolge zu verzeichnen. Der Kibbuz hat bereits einen Teil seiner Menschen nach Erez Israel gebracht.“ Auf geheimen Routen führte man die Kibbuzniks nach Italien oder Südfrankreich. Dort warteten Schiffe, die sie schließlich nach Palästina transportieren sollten.

Immer wieder reisten aber auch Grüppchen oder Einzelpersonen aus dem Jordanbad ab, um ein neues Leben in den USA oder in anderen klassischen Emigrationsländern zu beginnen. Für die große Mehrheit gab es jedoch nur ein Ziel: Erez Israel. Im Frühjahr 1947 war es so weit. Heimlich, innerhalb weniger Stunden und ohne Genehmigung der Militärregierung, verließen alle Mitglieder des Haschomer Hazair Kibbuz ihr vorübergehendes Zuhause. Nur wenige, zumeist erwachsene Bewohner, blieben zurück, so dass im Sommer nur noch 88 Personen im Jordanbad registriert waren. Die Gruppe des Haschomer Hazair schlug sich vermutlich direkt in Richtung Mittelmeer durch. Dort ankerten die von der Hagana gecharterten Schiffe, um die zukünftigen Bürger Israels ins Land zu bringen. Möglicherweise wurde auch dieser Dampfer, wie fast alle der über 60 Schiffe, von der britischen Kriegsmarine gestoppt und die Passagiere in Internierungs-Camps auf Zypern eingesperrt. Die Engländer wollten damals mit allen Mitteln die jüdische Immigration nach Palästina verhindert. Erst im Mai 1948, als der Staat Israel ausgerufen worden war und die britische Mandatszeit zu Ende ging, konnten Juden ungehindert einwandern.

Nachdem die jüdischen DPs das Sanatorium geräumt hatten, wurden in dem Anwesen unter anderem polnische Flüchtlinge untergebracht. Im Sommer 1948 schien es, dass die Gebäude wieder an die Nonnen des Klosters Reute zurückgegeben werden. Doch die Hoffnung der Franziskanerinnen erfüllte sich nicht. Aufgrund der sowjetischen Blockade Berlins im Juni 1948 überlegten die westlichen Alliierten, die DP-Camps in der geteilten Stadt aufzulösen. Am 12. September verfügte Paris, dass alle 220 Juden aus dem französischen Sektor in die französische Besatzungszone verlegt werden sollen. Der Großteil der Evakuierten fand Unterschlupf im Jordanbad, die restlichen wurden nach Kißlegg oder Lindau verlegt. Die neuerliche Unterbringung von jüdischen DPs stieß bei den Franziskanerschwestern auf wenig Freude. Die Nonnen wollten das Sanatorium endlich wieder zurückbekommen „Aber die Sache hat sich anders gestaltet“, notierte eine Klosterchronistin. „Es kam ein Transport mit 150 Personen. Juden aus Berlin. Zum Glück waren die Leute nicht lange hier. Viele davon reisten aus, nach Palästina und den USA.“ Es dauerte jedoch noch zwei Jahre bis die Besatzungsmacht das Anwesen freigab. Ende 1950 erhielten die Ordensschwestern das Jordanbad zurück. – (jgt)

Biberach – Swabian Sanatorium Jordanbad Transformed into a Kibbutz

Jewish children and young people in the Jordanbad DP camp

In the midst of a park landscape with old trees, on the outskirts of the Swabian city of Biberach, lies the Jordanbad with its healing springs, a place that looks back over a long history. As early as 1470, chronicles report of a bath with healing waters below the Wasach mountain. In 1889, the Franciscan nuns of the Reute convent took over the Jordanbad and opened a sanatorium. Since then, people have found relaxation and diversion here with beneficial as well as therapeutic Kneipp water treatment.

However, the fact that the imposing villa and the stately bathhouse (this building was demolished in the 1960s) were inhabited by Holocaust survivors in the post-war period is known today only to a few. At the end of April 1945, the French military government confiscated the property and set up a camp for Jewish DPs – Displaced Persons – in the Jordanbad. The Allies installed such reception camps throughout the western occupation zones, where at times more than 184,000 Jews waited to emigrate. Well-known camps in the Munich area should be remembered, such as Feldafing, Landsberg or Föhrenwald, each of which accommodated up to 5,000 Jewish residents.

Although there were only about 2,000 Jews in the French occupation zone, there is evidence of Jewish DP camps here as well, in Biberach-Jordanbad, Gailingen, Lindau or Kißlegg for example. Just after the end of the war, initially about „400 homeless Jews“ were accommodated in Jordanbad for a short while. From December on, the sanatorium was transformed into a well-organised training kibbutz. However, the new residents, 230 boys and girls between the ages of 8 and 18 and their educators, regarded their accommodation merely as a „waiting room.” They hoped longingly to leave for Palestine soon. But the state of Israel was not yet reality.

Today there is nothing to show evidence of the former kibbutz. Thanks to some reports and statistics kept in the US YIVO Institute for Jewish Research in New York, as well as documents from the archives of the Reute monastery, it is possible to take a look into the past.

The Jewish community in Jordanbad lived according to its collective-oriented ideals and prepared intensively for a future in the state yet to be founded. The camp had its own school, where boys and girls were taught Hebrew, Palestine studies and history. In addition, there was a „seminar“ of the left-wing Zionist youth movement Hashomer Hatzair (The Young Guardians). Political courses were offered on a regular basis. Jews from almost all the German DP camps met in the Jordanbad and discussed how they could advance the building up of Eretz Israel. An important point at these conferences was the organisation of illegal immigration to Palestine, as documented in an internal report of the „Comité Israélite Central,“ the Jewish group representing their interests towards the French military government: „Kibbutz Hashomer Hatzair carries out good youth education work. It goes on to say, „The preparation for the aliyah has achieved good successes. The kibbutz has already got some of its people to Eretz Israel.“ Secret routes took the kibbutzniks to Italy or southern France. Ships were waiting there to transport them eventually to Palestine.

However, time and again small groups or individuals left Jordanbad to start a new life in the USA or in other classic emigration countries. For the vast majority though, there was only one destination: Eretz Israel. In the spring of 1947, the time had come. Secretly, within a few hours and without the permission of the military government, all members of the Hashomer Hatzair Kibbutz left their temporary home. Only a few, mostly adult residents, stayed behind, so that by the summer there were only 88 people registered in Jordanbad. The Hashomer Hatzair group presumably made its way directly toward the Mediterranean. There, the ships chartered by the Haganah were anchored, which were to bring the future citizens of Israel into the country. It is possible that their steamer – as with the majority of the more than 60 ships – was stopped by the British navy and the passengers imprisoned in internment camps on Cyprus. At that time the British wanted to prevent Jewish immigration to Palestine by all means. It was not until May 1948, when the State of Israel was proclaimed and the British Mandate came to an end, that Jews were allowed to immigrate unhindered.

After the Jewish DPs had vacated the sanatorium, Polish refugees, among others, were accommodated in the property. In the summer of 1948, it seemed that the buildings would be returned to the nuns of the Reute convent. But the hopes of the Franciscan nuns were not fulfilled. Due to the Soviet blockade of Berlin in June 1948, the Western Allies considered dissolving the DP camps in the divided city. On September 12, Paris decreed that all 220 Jews from the French sector be transferred to the French occupation zone. The majority of the evacuees found shelter in the Jordanbad, the rest were transferred to Kißlegg or Lindau. The accommodation of Jewish DPs there again was met with little enthusiasm among the Franciscan Sisters. The nuns wanted the sanatorium back at long last. „But things turned out differently,“ noted a convent chronicler. „A transportation with 150 people arrived. Jews from Berlin. Fortunately, the people were not here long. Many of them left for Palestine and the United States.“ However, it took another two years for the occupying forces to release the property and the nuns eventually got the Jordanbad back at the end of 1950. – (Translation: CB)

Quellen/References

Archive/Archives

  • American Jewish Joint Distribution Committee Archives, New York
    AR 45/54 Germany
  • Archiv Kloster Reute
  • YIVO Institute for Jewish Research, New York
    Leo W. Schwarz Papers / Displaced Persons Centers and Camps in Germany

Literatur/Literature

  • Jim G. Tobias, Jordanbad – Wartesaal für Holocaust-Überlebende, in: Schwäbische Zeitung, 18. November 2000
  • Das UNNRA Lager Jordanbad in der Nachkriegszeit, in: Reinhold Adler, Das war nicht nur „Karneval im August“. Das Internierungslager Biberach an der Riß 1942 -1945, Biberach 2002
  • Angelika Königseder, Flucht nach Berlin. Jüdische Displaced Persons 1945-1948, Berlin 1998

Lexikoneintrag/Lexicon entry

Biberach – Jüdisches DP-Lager/Kibbuz Jordanbad | Jewish DP Camp/Kibbutz Jordanbad